Wenn Kirche bunt wird
Das Farbenfroh Festival in Hof zeigt, wie lebendige Ökumene im 21. Jahrhundert aussehen kann
Von der Künstlichen Intelligenz bis zum Franziskanischen Gebet: Ein Sommertag in Oberfranken offenbart die erstaunliche Bandbreite zeitgenössischer Spiritualität
Es ist ein warmer Sonntagmorgen im Juli, als sich um die Kreuzkirche in Hof eine ungewöhnliche Menschenmenge versammelt. Familien mit Kinderwagen stehen neben technikbegeisterten Mittdreißigern, Senioren mit Rollator neben Jugendlichen in bunten T-Shirts. Das Farbenfroh Festival hat begonnen – und mit ihm ein Experiment, das zeigen will, wie Kirche heute aussehen kann, wenn sie alle Grenzen der Ortsgemeinde überschreitet.
Wenn drei Pfarrpersonen eine Predigt halten
Pfarrer Rainer Mederer führt unterhaltsam und geistreich ein in den vielfältigen Gottesdienst und verzaubert mit witziger und zugewandter Moderation. Dann betritt Pfarrerin Nicola Aller die Bühne – nicht mit einer Kanzelrede, sondern einem Poetry Slam "PSLAM". Psalm 104 wird zu zeitgenössischer Wortkunst, biblische Sprache verschmilzt mit moderner Performance. Die Gemeinde erlebt, wie alte Texte neue Kraft entfalten können, wenn sie in die Sprache der Gegenwart übersetzt werden.
Der Gottesdienst setzt sich fort mit einem liturgischen Novum: Drei Geistliche verschiedener Gemeinden – Pfarrer Konrad Aller, Pfarrer Michael Grell und Pfarrerin Andrea Setterhall-Fraunholz – gestalten gemeinsam eine Trialogpredigt. Es geht um Aufbruch, um Abram und Sara, um den Mut, Gewohntes zu verlassen. Doch statt belehrender Monologe entwickelt sich ein lebendiger Dialog, bei dem die drei Theologen einander ergänzen, herausfordern, zum Lachen bringen.
Wie seinerzeit Abram und Sara laden sie die Gemeinde ein, sich auf Neues einzulassen – eine Metapher, die an diesem Tag Programm wird. Denn während die Erwachsenen den ungewöhnlichen Predigtstil erleben, findet parallel ein Kindergottesdienst statt, begleitet vom kraftvollen Klang des gemeinsamen Posaunenchors aus mehreren Gemeinden unter der Leitung von Sophia Lederer, welcher unter anderem Edgar Elgars berühmten Marsch intoniert.
Gefühlvoll betet ein Ehrenamtlichenteam rund um Gemeindereferentin Anita Coppes für die Region und die Menschen in ihr. Ein bewegender Moment.
Landrat zwischen Radwegen und Ewigkeit
Nach dem Gottesdienst betritt eine Person den Altarraum, die man hier nicht unbedingt erwartet hätte: Landrat Dr. Oliver Bär stellt sich offen den Fragen, die Gemeindeglieder im Vorfeld einsenden konnten. Doch statt politischer Phrasen gibt er überraschend persönliche Einblicke. Er spricht über die digitale Zukunft des Landkreises, über geplante Radwege entlang der Flüsse – aber auch über die Taufen und Konfirmationen seiner Kinder, die ihn nach eigener Aussage sehr berührt haben und heilige Momente für seine Familie waren.
Hinter der Funktion des Politikers wird ein suchender und fragender Mensch zugewandt transparent, der in seiner politischen Arbeit "Halt und Orientierung im Glauben an Gott" findet. Seine Überzeugung, dass der Glaube das Potenzial habe "die Gesellschaft zum Besseren zu verändern", berührt die Anwesenden zutiefst.
Wenn die Maschine Gott spielt
Den Höhepunkt des Nachmittags bildet ein Vortrag, der das Festival in die Zukunft katapultiert: KI-Experte Dr. Eldar Sultanow spricht über "Die Macht der KI" – und die Zuhörer werden still, als er Szenarien beschreibt, in denen Künstliche Intelligenz Verstorbene digital "wiederbelebt" oder die Grenzen menschlicher Existenz sprengt.
Faszinierend, einschüchternd und ethisch hochbrisant – so lässt sich die Stimmung im Publikum beschreiben, als Sultanow die Verbindung zu Star Trek zieht: Was die Science-Fiction-Serie vor 40 Jahren erdachte, beschäftigt heute den deutschen Ethikrat. Plötzlich werden theologische Grundfragen in Silicon-Valley-Realität übersetzt: Was macht den Menschen aus? Wo sind die Grenzen des Schöpferischen? Kann Technologie transzendent werden? Die Gespräche auf dem Festival zeigen: Diese Kirche scheut sich nicht vor den großen Fragen der Zeit. Sie stellt sie mitten ins Zentrum ihres Glaubens.
Märchen, Musik und Menschlichkeit
Während die Erwachsenen über Zukunftstechnologien grübeln, erobern Kinder die Hüpfburg, lassen sich schminken und spielen Street-Soccer. Pfarrerin Aller erzählt "feine und schauerliche Märchen aus Hof und Umgebung" – lokale Geschichten für kleine Ohren. Beim Spieltreff "Klingendes Bäumchen" singen Kinder aus vollem Hals, ihre Stimmen mischen sich mit den Klängen der Combos Hope and Mind, Up, Entertainer Rudi Feiler und Happy Metal Brass Band. Das Leben wuselt und blüht rund um und in der Kreuzkirche. Das tolle, vielfältige Gemeindezentrum, wo Garten, Kirche, Innenhof und Gemeinderäume perfekt für das Festival passen, besuchen manche zum ersten, aber sicher nicht zum letzten Mal.
Es ist diese Gleichzeitigkeit, die das Festival auszeichnet: Hochintellektuelle Diskurse neben kindlicher Unbeschwertheit, tiefgreifende Spiritualität neben ausgelassener Lebensfreude. Der "Markt der Möglichkeiten" zeigt, wie vielfältig kirchliches Engagement heute ist – vom ökologischen "Schwammbalkon-Projekt" der Kreuzkirche bis zu spannenden Gottesdienstprojekten aus den Gemeinden.
Italienische Seele, fränkisches Herz
Den Abschluss bildet eine Überraschung: Pfarrer Dr. Matthias Westerhoff gestaltet eine poetische und kunstvolle Abendandacht in deutsch-italienischer Freundschaft mit Anklängen an Franz von Assisi. Nach einem Tag voller Diskussionen und Begegnungen kehrt Stille ein. Die franziskanische Spiritualität, die Einfachheit mit Tiefe verbindet, bildet den ruhigen Kontrapunkt zum bunten Treiben des Tages.
Es ist ein Moment, der symbolisch wirkt: Diese Kirche kann beides – die laute Auseinandersetzung mit der Gegenwart und die leise Besinnung auf das Ewige. Sie kann Star Trek zitieren und Psalmen beten, sie kann über Nachhaltigkeit diskutieren und Märchen erzählen.
Regiolokale Kirche als gelebte Realität
Was an diesem Julitag in Hof geschieht, ist mehr als ein Fest. Es ist ein Modell für eine Kirche, die sich nicht hinter Traditionen versteckt, sondern Tradition als lebendige Kraft versteht. Die beteiligten Pfarreien – die neu gegründete Großpfarrei kreuz.4, die dörfliche, kleine evangelische Töpen, die ev.-luth. Kirchengemeinden Lutherkirche Hof und Trogen – haben gezeigt, dass Miteinder nicht in Ausschüssen entsteht, sondern im gemeinsamen Tun.
"Ein tolles Festival mit geistlichem Tiefgang", so lautet das Fazit der Organisatoren. Und tatsächlich: Man spürt, wie hier "engagierte Christ:innen in der Region im Glauben immer mehr zusammenwachsen", so Nicola Aller, stellv. Dekanin in Hof und Mitinitiatorin des Festes. Nicht durch kybernetische Kompromisse, sondern durch gelebte Gemeinschaft.
In einer Zeit, in der Religion oft als rückwärtsgewandt wahrgenommen wird, zeigt das Farbenfroh Festival das Gegenteil: Kirche kann Avantgarde sein. Sie kann die drängendsten Fragen der Zeit stellen und dabei ihre spirituelle Identität bewahren. Sie kann traditionelle Formen heilsam brechen und dabei das Beste der Tradition feiern und bewahren.
Als die letzten Besuchenden die Kreuzkirche verlassen, bleibt mehr zurück als die Erinnerung an einen schönen Sommertag. Es bleibt die Erkenntnis, dass Kirche im 21. Jahrhundert farbenfroh, lebendig und relevant sein kann – wenn sie den Mut hat, alle Türen zu öffnen.
Die Wärschtla waren übrigens auch hervorragend und nur wenige haben sich mit Senf bekleckert. :)